Dr. Gift - Friedlieb Ferdinand Runge

Keineswegs schien Friedlieb Ferdinand Runge unter dem Spitznamen „Dr. Gift“, der ihm schon zu Lebzeiten gegeben wurde, zu leiden: „…man wußte, daß ich immer in Giftpflanzen wühlte und eifrigst bestrebt war, etwas Nützliches zu leisten…Dr. Gift war also eigentlich kein Spitzname sondern ein Ehrentitel für mich.“

Friedlieb Ferdinand Runge ist ein bedeutender deutscher Chemiker und viele seiner Entdeckungen waren wegweisend und sind noch heute von großem wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Nutzen. Trotzdem wird Runge eher selten zusammen mit den großen deutschen Chemikern genannt und starb in ärmlichen Verhältnissen.

Sein Weg war von Anfang an kein leichter. Am 8. Februar 1794, als drittes Kind des Pastors Johann Gerhardt Runge in Hamburg-Billwerder geboren, wuchs Friedlieb Ferdinand Runge († 25. März 1867 in Oranienburg) in ärmlichen Verhältnissen auf und musste aufgrund fehlender finanzieller Möglichkeiten auf eine höhere Schulbildung verzichten. Mit 15 Jahren begann er eine Apothekerlehre bei seinem Onkel in Lübeck, die den Grundstein für seinen Werdegang legte. Er erlernte die Grundlagen chemischen Arbeitens und bald begann er mit eigenständigen Experimenten. Bei einer Reihe von Versuchen beobachtete er die pupillenerweiternde Wirkung des Bilsenkrautsaftes (Hyoscyamus niger). Runge erkannte, dass ein Extrakt aus Bilsenkraut die Pupillen erweitert und diese Erweiterung reversibel ist. Dass sie zu einer temporären, fast vollständigen Blindheit führt, lernte Runge im akzidentiellen Selbstversuch, bei dem ihm ein Tropfen des Extrakts ins Auge spritze. Seine Kenntnis nutzte er um einen Freund vorübergehend "erblinden" zu lassen und so vor Einzug in die Armee zu schützen.

Die Apothekerlehre ermöglichte es ihm 1816 in Berlin mit dem Studium der Medizin zu beginnen. Zwei Jahre später ging er nach Göttingen und dann nach Jena, um dort das Studium fortzusetzen. Hier besuchte er auch Chemievorlesungen. Sein besonderes Interesse galt weiterhin Pflanzeninhaltsstoffen. So knüpfte er in seiner Dissertation über Atropin an seine Versuche mit Bilsenkraut an und erlangte im Jahr 1819 die Doktorwürde in Medizin.

In Jena stellte sich Runge dem bedeutenden Chemiker und Scheidekünstler Johann Wolfgang Döbereiner (1780–1849) vor, und hoffte ihn als Lehrer gewinnen zu können. Döbereiner war von Runges Können beeindruckt. Runge konnte nicht nur, das Gift (Atropin) des Bilsenkrautes, der Tollfrucht und des Stechapfels als reine Stoffe herstellen, sondern hatte auch das Mittel gefunden, das Vorhandensein dieser Giftstoffe in Speisen und Getränken und in den damit vergifteten Tieren und Menschen nachzuweisen. Dies war ein wichtiger Schritt für die Aufklärung und Strafverfolgung von Gifttaten mit pflanzlichen Giften. Giftpflanzenverbrechen blieben in dieser Zeit noch weitestgehend unentdeckt, anders als bei Vergiftungsfällen mit metallischen Giften, wie zum Beispiel Arsensalzen und Quecksilber, wo die Chemie bereits in der Kenntnis der Mittel und Verfahrensarten zum Nachweis dieser Gifte war.

Es war auch in Jena, wo Runge Johann Wolfgang von Goethe vorgestellt wurde. Dieser hatte Kaffeebohnen von einer Reise mitgebracht und gab sie Runge zur Untersuchung. Daraus isolierte Runge 1819 Koffein.

Runges Forscherdrang war weiterhin ungebremst und führte ihn zurück nach Berlin; zwar offiziell nicht als Student eingeschrieben, arbeitete Runge dennoch chemisch-experimentell und reichte dort 1922 ein Manuskript als Dissertation über Indigo und seine Verbindungen mit Metallsalzen und Metalloxyden zur Erlangung der philosophischen Doktorwürde ein. Die beiden Dissertationen ermöglichten Runge eine universitäre Laufbahn, was ihm aufgrund seiner fehlenden höheren Schulbildung bis dahin versagt gewesen war. So habilitierte er sich und lehrte technische Chemie und Pflanzenchemie. 1823-26 kehrte Friedlieb Runge Deutschland den Rücken und unternahm wissenschaftliche Reisen nach Frankreich, die Schweiz, England und die Niederlande. In Paris lernte er unter anderen Justus Liebig und Alexander v. Humboldt kennen. Ab 1828 lehrte er an der Universität Breslau als außerordentlichen Professor.

Um sich stärker der praktischen Anwendung der Chemie widmen zu können, beendete Runge 1832 seine universitäre Karriere und übernahm die Aufgabe des technischen Direktors der “Chemischen Produktenfabrik Oranienburg“. Hier sollte Runge seine wichtigste Entdeckung machen. Zu dieser Zeit fiel Steinkohleteer als Abfallprodukt bei der Leuchtgas- und Koksherstellung aus Steinkohle in großen Mengen an. Runge untersuchte den Teer eingehend und fand u.a. Anilin und Phenol. Anilin bekam seinen heutigen Namen erst später. Runge bezeichnete es noch als „Kyanol“, aufgrund der Farbreaktion, die es mit Chlorkalk eingeht, der sogenannten „Runge-Reaktion“. Aus Phenol gewann Runge Rosolsäure (Aurin), aus dem Anilin das Anilinschwarz, die ersten synthetischen Teerfarbstoffe überhaupt. Runge erkannte schnell das Potential seiner Entdeckung und versuchte den Direktor der Firma davon zu überzeugen. Dieser hatte aber andere Pläne und so war die weitere Forschung an Teerfarben anderen überlassen.

Runge war stets ein Getriebener. Seine Forschung zielte immer auf die praktische Anwendung des Erforschten und darauf, dessen Nützlichkeit unter Beweis zu stellen. Runge versuchte nie persönliches Kapital aus seinen Entdeckungen zu ziehen. Anders als viele seiner Zeitgenossen schrieb er wenig wissenschaftliche Assays in Fachjournalen. Er bevorzugte in leicht verständlichen Büchern, die auch von Nicht-Wissenschaftlern gelesen und verstanden werden sollten, zu veröffentlichen. So erschien 1830 das erste Buch seiner „Jedermann“-Reihe mit dem Titel „Grundlehren der Chemie für Jedermann“ in dem er konsequent auf ausführliche theoretische Betrachtungen verzichtete. Dies brachte ihm in Fachkreisen nicht nur Lob ein, sondern wurde durchaus kritisch gesehen. Aber dass Runge eher ein Außenseiter blieb, lag vermutlich auch an seiner Persönlichkeit. Als Junggeselle galt er als Sonderling. Auch zuhause wandte er seine chemischen Kenntnisse an. So kam es vor, dass er seine Gäste mit Lebensmitteln aus Konservendosen bewirtete und ihnen einen Kunstwein aus Alkohol und organischen Säuren kredenzte.

Runge blieb 20 Jahre bis zu seiner Entlassung nach bei der Firma in Oranienburg. Nach dem Tod des Besitzers 1855 weigerte sich dessen Witwe, weiterhin Runges Pension zu bezahlen. So lebte er bis zu seinem Lebensende im Jahre 1867 in Oranienburg in ärmlichen und eher einsamen Verhältnissen.

Text: Ute Haßmann

Quellen:

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