Munition im Meer. Eine latente Gefahr!

Bis zu 1,6 Millionen Tonnen Munition verrosten laut Experten in Nord- und Ostsee [link]. Die daraus freiwerdenden Verbindungen stellen eine Gefahr für das Ökosystem und den Menschen da. Es ist der hervorragenden wissenschaftlichen Arbeit von Prof. Dr. Edmund Maser, seiner Mitarbeiterin Dr. Jennifer Strehse sowie dem ganzen Team des Instituts für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel zu verdanken, dass diesen Gefahren mittlerweile erhöhte Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Das Institut hat sich in diesem Themenfeld als weltweit gefragter Experte etabliert und ist in nationalen und internationalen Forschungsprojekten vertreten [link]. So ließ sich kürzlich auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Rahmen ihrer Deutschlandreise im Juli 2022 von Jennifer Strehse eingehend zu diesem Thema aufklären.

Wie kommt es zu der Verschmutzung der Weltmeere durch Munition?

Als Überbleibsel militärischer Operationen und durch Verklappung wurden während und nach dem Zweiten Weltkrieg große Menge gefährlicher chemischer und konventioneller Munition in Nord- und Ostsee versenkt. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 1,6 Millionen Tonnen davon heute noch in deutschen Küstengewässern zu finden sind. Neben den unmittelbaren Gefahren für Umwelt, Schiffsverkehr und Menschen widmet sich Jennifer Strehse vom Arbeitskreis Maser jener Gefahr, die erst im Laufe der Zeit entsteht.

Welche Gefahren können bei der Verrostung von Munition im Meer entstehen?

Durch die fortschreitende Korrosion der Munition kommt es zu einer verstärkten Freisetzung von Schadstoffen, darunter Sprengstofftypische Verbindungen (STV) und deren Metabolite, die von hoher ökotoxikologischer und humantoxikologischer Relevanz sind. Bereits in sehr niedrigen Konzentrationen können diese bei chronischer Exposition schädigende Wirkung auf das marine Tier- und Pflanzenleben haben, was sich z. B. bei Fischen in einem veränderten Blutbild und/oder Leberschäden zeigen kann. Gelangen Verbindungen wie TNT (Trinitrotoluol) und seine Metabolite über den Weg der Nahrungskette in unsere Speisen, kann zusätzlich auch eine Gefährdung für den Menschen entstehen. Bei Menschen haben diese Verbindungen neben einer akuten Wirkung auf Leber und Immunsystem auch mutagenes und kanzerogenes Potential. Zusätzlich zu den bereits bekannten Verbindungen können deren Umbauprodukte persistenter sein und andere toxikologische Eigenschaften haben. Dies muss bei der Risikobewertung korrodierender Munitionen berücksichtigt werden.

Eine überaus schwere Aufgabe, denn Korrosion ist ein langsamer Prozess, bei dem meist nur kleine Mengen an gefährlichen Substanzen austreten. Durch erfolgreiche analytische Forschungsarbeit ist es der Gruppe um Edmund Maser gelungen, vormalig unter der Nachweisgrenze liegenden Mengen an STV, in freiem Wasser erfassen zu können. So ausgerüstet konnte der Nachweis erbracht werden, dass STV aus korrodierenden Munitionskörpern austreten und in die marine Nahrungskette gelangen können.

Etablierung eines intelligenten Monitorings und Identifizierung geeigneter molekularer Biomarker als Grundsteine für eine erfolgreiche Risikoerfassung.

Zur besseren Abschätzung des Ausmaßes solcher Belastungen wurde ein Biomonitoring-System für die Miesmuschel Mytilus spp. entwickelt, einer weit verbreiteten Speisemuschel. Als aktive Wasser filtrierende Organismen reichern Miesmuscheln auch STV in ihrem Gewebe an. Werden ausgebrachte Miesmuscheln über längere Zeiträume untersucht, können auch sehr niedrige Konzentrationen der giftigen Substanzen im Meerwasser erfasst werden. Eine dringende Frage war welcher Biomarker für eine STV-Exposition geeignet ist. Hier gelang Jennifer Strehse mit der Verwendung der Carbonylreduktase ein vielversprechender Ansatz.

Dazu machte sich die Wissenschaftlerin das Wissen zunutze, dass die Toxizität und Kanzerogenität von STV auf ihrer Fähigkeit, oxidativen Zellstress zu bewirken, beruht. Erfährt die Zelle oxidativen Stress, kann es zur Oxidation von Lipoproteinen und Lipiden kommen, wodurch reaktive Carbonylverbindungen entstehen können. In weiterer Folge können diese zu Modifikationen an DNA, Lipiden und Proteinen führen. Dieser möglichen Schädigung wirkt u. a. das Enzym Carbonylreduktase entgegen, was in den Fokus der Forscherinnen und Forscher aus Kiel trat. Carbonylreduktasen verstoffwechseln reaktive Carbonyle zu ihren entsprechenden Alkoholen und stellen damit einen wichtigen zellulären Abwehrmechanismus dar. Um das kodierende Gen der Carbonylreduktase in der Muschel untersuchen zu können, musste eine weiter Hürde genommen werden, denn das Genom der Miesmuschel ist bis heute nicht vollständig sequenziert.

Mittels eines bioinformatischen Ansatzes konnte das entsprechend für dieses Enzym kodierende Gen identifiziert und bestätigt werden. Nachfolgende Untersuchungen der Genexpression zeigten, dass das Carbonylreduktase-Gen in seiner Expression tatsächlich durch STV konzentrations-, zeit- und gewebeabhängig in der Miesmuschel hochreguliert wird. Damit gelang die Identifizierung eines molekularen Biomarkers, der die Belastung einer Miesmuschel mit STV anzeigt.

Risikominimierung durch bereits angewendetes Muschelmonitoring.

Konkreten Einsatz findet das erarbeitete Konzept des Muschelmonitorings nun schon bei der Überwachung von Munitionsgebieten im Meer. Dort werden Muscheln definiert ausgebracht und regelmäßig auf ihren Gehalt an STV analysiert, so dass rechtzeitig vor möglichen Umweltschäden gewarnt werden kann.

Ein Ergebnis des Muschelmonitorings war die dringende Empfehlung auf Sprengungen von Altmunition im Meer zu verzichten, um zu verhindern, dass schlagartig STV in größerem Ausmaß in die marine Nahrungskette gelangen und damit das Risiko einer Gesundheitsgefährdung erhöht.

Ein bestehendes Problem bleibt: Bisher fehlt eine zuverlässige Risikobewertung für den menschlichen Konsum von Kampfstoff-kontaminierten Meeresfrüchten. In diesem Zusammenhang liefern die Forschungsergebnisse wichtige erste Daten und Orientierungspunkte.

Text: Ute Haßmann

Bild: A scientific diver next to a submerged mine in the western Baltic Sea.
© Jana Ulrich, FTZ CAU | Quelle: https://www.researchgate.net/...

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